Betrachtungen zum Zeitgeschehen


6c. Gegen Expertengläubigkeit und das Beraterunwesen in der Politik

Ein erheblicher Teil der Probleme, die sich z.B. die Regierung Schröder zugezogen hatte, ging auf unnötige hochbezahlte "Experten" zurück. Z.B. leistete sich das Kanzleramt einen eigenen Wirtschaftsprofessor zusätzlich zum eigentlich zuständigen Wirtschaftsministerium. Weiter gab es die Hartz-Kommission, und die millionenteuren kommerziellen Berater der Bundesagentur für Arbeit, usw. Der Kanzler schien blind auf solche Berater zu vertrauen, und eignete sich deren Denkweise - die im Umfeld der Regierungsparteien schlecht ankam - soweit an, daß es lange dauerte, bis er überhaupt wieder eine Sprache fand, um herüberzubringen, was denn an dieser Politik sozialer sein solle als z.B. bei der Opposition. Dabei hätte es in der Bevölkerung, einschließlich des Umfeldes der Regierungsparteien und sogar in deren eigener Mitgliedschaft genügend sachkundige Leute gegeben, die sogar gratis hochqualifizierte vermittelbare Ratschläge geben könnten. Sie haben dies teils auch versucht, aber es wurde stattdessen auf die ihrer Aufgabe nicht gewachsenen Vertragsexperten gehört - bis sich Manche fragten, ob dieser Kanzler absichtlich seine Regierung aus dem Amt jagen wollte. Teilweise ist bei solchen "Experten" auch eine mögliche Lobbyistenfunktion* - wenn sie von Großfirmen stammen - nicht ganz von der Hand zu weisen.

Die Experten hatten einerseits deswegen eine solche Rolle, weil eben die Koalitionsverträge zwischen 1998 und 2005 von Seiten des Kanzlers von vornherein nur eine geringe Rolle spielten. Das wiederum ist zwar die persönliche Verantwortung des Kanzlers, und teilweise derer, die davon ausgingen, sie könnten gar nicht anders, als dies mitzumachen. Aber es ist eben schon angelegt in der starken Stellung des Kanzlers im Grundgesetz.

Eine weitere Quelle des Expertenunwesens war die mangelnde inhaltliche Qualifikation politischer Akteure, und wir gehen bisher nicht davon aus, daß sich das unter einer neuen Regierung ändert, egal wie sie zusammengesetzt ist. Es sei denn, das Thema Expertokratie wird zum öffentlichen Thema! Der Ansatz dazu im Fall der Bundesagentur für Arbeit war noch nicht ausreichend.

Die Kanzlerkandidatin der CDU/CSU, Angela Merkel machte nun sogar schon vor der Bundestagswahl denselben Fehler, und sehr massiv. Solche Experten, wie Kirchhoff und Pierer sollten nun möglicherweise sogar Ministerämter bekleiden.

Übrigens sind wir natürlich nicht allgemein "gegen Experten". Sie sind vielfach nötig. Aber es soll mit offenen Karten gespielt werden, damit sie auf positive Weise wirken können. Experten - und zwar mehrere, die das ganze Spektrum unterschiedlicher Meinungen wiederspiegeln - sollten in den offiziellen Anhörungen des Bundestages zu Wort kommen. Diejenigen darunter, die bestimmte Wirtschaftsverbände vertreten, offiziell in dieser Rolle; und bevorzugt aber zusätzlich unabhängige sachkundige Bürger/innen.

*) Lobbyismus wäre zunächst eine berechtigte Sache, nämlich daß Verbände Kontakte mit der Politik pflegen. Die Praxis funktioniert jedoch so: Branche x hat in 12-15 Jahren ein ganzes Netz aufgebaut, das Fachreferenten von Ministerien, Abgeordnete, unter Umständen selbst Minister oder Regierungschefs verbindet. Nach einem Treff in den dafür üblichen Lokalen Bonns bzw. Berlins landet der von Lobbyist x1 geschriebene Gesetzentwurf über Fachreferent x2 letztendlich im Parlament. Bei der Ausschußanhörung hilft u.a. Lobbyist x3 erneut nach, bestimmte Abgeordnete x4-x6 ebenfalls usw. Wo schon von vornherein Lobbyist Prof. x0  z.B. den Kanzler überzeugt hat, beschleunigt dies das Verfahren erheblich. Was im relativ transparenten Ausschuß läuft, ist dann fast belanglos. Es sei denn, die Widerstände werden doch unerwartet groß. Das ist natürlich vereinfacht, es hat noch viel massivere Aktivitäten gegeben. In bestimmten Ministerien arbeiteten diese Netzwerke so geschickt, daß die Minister noch nicht einmal mitbekommen konnten, was da abläuft. (Einzelheiten wollen wir hier nicht schreiben, um nicht noch dazu anzuleiten.) Das alles als "Verantwortung eines Ministers" abtun zu wollen, greift einfach zu kurz. Wer seit 25 Jahren in einem Haus an wichtiger Stelle angestellt ist, hat unter Umständen einen massiven Wissensvorsprung. Und den kann er ausnutzen. 
Eine Lobbyorganisation allgemeinerer Art ist die 2000 gegründete "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Träger ist der Arbeitgeberverband "Gesamtmetall" mit Martin Kannegiesser, Berater das "Institut der Deutschen Wirtschaft", Botschafter bzw. Mitarbeiter sind Prof. P. Kirchhof, Friedrich Merz (CDU), Ralf Dahrendorf, K. von Dohnanyi, Dieter Rath, Tasso Enzweiler, und Weitere aus Wirtschaft und Politik, bis hin zu Oswald Mezger als Einzelgänger von den Grünen. Ziel ist, für soziale Reformen mehr gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Z.B. der Slogan "Sozial ist, was Arbeit schafft", stammte zuerst von dieser Initiative. D.h. besonders, was Unternehmen entlastet, schaffe Arbeitsplätze und nütze automatisch Allen; die Sorge um die soziale Sicherung angesichts der immer weniger funktionierenden klassischen Erwerbsbiographie wurde also dort nicht als eigenständiges Problem gesehen, sondern es wurde mehr und mehr auf private Vorsorge verwiesen. Diese Inhalte sind nicht alle falsch; sie blendeten aber Wesentliches aus, und schufen so ein einseitiges Bild. Viele Medien brachten Verlautbarungen dieser Initiative wie eine wissenschaftlich unbezweifelbare Realität, statt sie zu hinterfragen oder nachrechnen zu lassen.

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