Betrachtungen zum Zeitgeschehen


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5. Zu den hauptsächlichen Streitpunkten, die zur deutschen Neuwahldiskussion führten

SPD und Bündnis 90/ Die Grünen

Oppositionsparteien CDU/CSU/ FDP ; PDS

Reformprojekt "Hartz IV", Arbeitsmarkt und Steuern:
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Die Schwächsten: Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende und viele frühere Arbeitslosenhilfebezieher mit Kindern oder geringen Leistungen wurden bei der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld 2 und Sozialhilfe besser gestellt als bisher. Die meisten Einzelheiten von Hartz IV stammen von der SPD. Einige Punkte etwa betr. der Zumutbarkeitsregelungen wurden von den Bündnisgrünen abgemildert, wurden aber durch die → CDU wieder verschärft.

Die SPD möchte jetzt - allerdings viel zu spät - die meistkritisierten Mängel bei der Versorgung der älteren Arbeitslosen korrigieren (warum aber nur durch eine Verlängerung der Übergangszeit?). Auch sollen die Zuverdienstmöglichkeiten verbessert werden.

- Für die reale Senkung der Arbeitslosenzahlen gab es unter Rot-grün einige, aber nicht ausreichende Ansätze z.B. für mehr Teilzeit etwa für Eltern, sowie zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit. 
Heute wird lieber eine Vollzeitkraft angestellt, als bei einem freiwerdenden Arbeitsplatz die Arbeit auf zwei zu verteilen. Diese Bedingungen für Teilzeit müssen sich bessern. Und, da es eine Vollbeschäftigung in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird, bleibt eine ausreichende menschenwürdige Grundsicherung Aller ein wichtiges Ziel.

Übrigens sieht die britische Wirtschafts-Fachzeitschrift "The Economist" vom 20.-26.8.05 die "Agenda 2010" im Wesentlichen im Gelingen begriffen: Deutschland sei "superwettbewerbsfähig" (soweit dies unter den problematischen Bedingungen der Globalisierung geht). Lediglich hätten die deutschen Verbraucher subjektiv Ängste um ihre Arbeitsplätze und um die sozialen Sicherungssysteme. Die taz vom 23.8. fragt daher, ob der deutsche Michel ein eingebildeter Kranker ist. Siehe auch unsere Seite über "Stimmungen".

Reformprojekt "Hartz IV", Arbeitsmarkt und Steuern:
- Viele Punkte in Hartz IV sind von der CDU/CSU über den Bundesrat hineinverhandelt worden: Die schärfere Anrechnung von Partnerschaftseinkommen, die strengeren Zumutbarkeitsregelungen mit Bezahlung unter Tarif, die zu geringen Zuverdienstmöglichkeiten, usw.; dabei wurden z.B. auch Einzelheiten der Zumutbarkeitsregelungen rückgängig gemacht, die von den Grünen stammten.

Die CDU/CSU und FDP sind eigentlich nicht gegen jene SPD-Politik, die das Umfeld der SPD gegen diese aufgebracht hatte; aber sie sehen die ergriffenen Maßnahmen als bei weitem nicht ausreichend.

Die CDU möchte darüber hinaus: Beschäftigungschancen a.) durch einen Abbau des Kündigungsschutzes (diese Wirkung ist unter Fachleuten umstritten; und selbst wenn dadurch, sagen wir 100000 Arbeitsplätze entstehen würden, würden viele Hunderttausende mehr als bisher in ständiger Angst um ihren Arbeitsplatz leben, sodaß eher der soziale Frieden gefährdet wäre.) Es könnte stattdessen sinnvoll sein, nur für ganz speziell zu definierende neue Arbeitsplätze den Kündigungsschutz wegzulassen, d.h. so, daß kein bisheriger Arbeitsplatz betroffen wäre.
b.) Weiter will die CDU Arbeitsmarktpolitik "straffen": bei Umschulung, ABM-Maßnahmen und Ich-AGs Geld einsparen; den Niedriglohnsektor ausweiten; betriebliche Bündnisse - also weniger Einfluß der überbetrieblichen Gewerkschaften.

- Die CDU und die FDP diskutieren längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten - was zumindest die Arbeitslosigkeit eindeutig weiter erhöhen würde.

Die PDS hat wenig durchgerechnete, bezahlbare Konzepte.
Die in der Literatur zu findenden Ideen z.B. von staatlichen Beschäftigungsprogrammen bzw. einer rein nachfrageorientierten Politik würden bei der jetzigen Lage - fast Alle sparen aus Unsicherheit...- keine nachhaltige Wirkung haben. Es ist aber ein Mangel der öffentlichen Diskussion, daß solche Konzepte, die auch von SPD-nahen alternativen Wirtschafts- wissenschaftlern geteilt werden, praktisch überhaupt nicht diskutiert werden.
Die PDS war "gegen Hartz IV". Auch wenn Hartz IV selbst in Kernpunkten korrekturbedürftig ist, hilft aber eine solche undifferenzierte Diskussion nicht weiter. Teile davon sind nötig. Dies scheint neuerdings auch diese Partei einzusehen. 

Steuern: Die SPD und die Grünen wollen - nachdem sie jahrelang - erfolglos kritisiert von ihren Anhängern - die Einkommenssteuer gesenkt haben - jetzt Spitzeneinkommen wieder stärker besteuern.

Im wesentlichen wurde auf die gar nicht mehr in dem Maße zu erwartende "Konjunktur" gesetzt, statt zur Kenntnis zu nehmen:
- daß der Markt in Deutschland und der westlichen EU auf vielen Gebieten so gesättigt ist, daß es eher eine "Erhaltungswirtschaft" als eine Wachstumswirtschaft ist;
- und daß die Verbraucher nachhaltig begriffen haben, daß sie mehr sparen müssen; und daß auch die Unternehmer nicht jede durch Steuerersparnis gesparte Mark gleich investieren, weil einfach kein massiverer Bedarf da ist.

Die Konsequenz müßte sein: von den Bürgern ist nicht mehr zu holen; der Staat muß sparen; aber nicht im sozialen Bereich, sondern bei seinen eigenen Großprojekten, die keinerlei nachhaltige Beschäftigungswirkung haben, und bei seiner eigenen Verwaltung. Hier wären leicht 20-50 Milliarden Euro einzusparen.

Die Lohnnebenkosten senken wollen z.B. auch die Grünen.

Besonders die FDP erweckt den Eindruck, daß sie soziale Probleme allein durch Steuersenkungen und Abbau von sozialen Anforderungen an Investoren lösen will - was leider noch nie funktioniert hat.
Die CDU hat auch eher Steuersenkungen als Rezept vertreten, will aber jetzt stattdessen eine Mehrwertsteuererhöhung von 2% - die speziell die Endverbraucher treffen würde. Gesenkt werden sollen die (auch Spitzen-)  Einkommenssteuersätze (sowie Arbeitsnebenkosten). 

Alle diese Denkrichtungen setzen letztendlich mindestens ebenso auf  die "Konjunktur" wie es schon das rot-grüne Konzept erfordert hätte.

PDS und Andere:  eine symbolische Politik wie eine Einführung einer Vermögenssteuer unter den seit 1996 geltenden Voraussetzungen (Bundesverfassungsgericht) würde keinem sozial Schwachen auch nur einen Euro zusätzlich in den Geldbeutel bringen, sondern es würde ihm auch noch die bezahlbare Wohnung wegnehmen, weil die Mieten durch diese Maßahme erheblich steigen würden - egal wie die Steuer im Einzelnen gestaltet wäre. Besser schon ist es da zu besteuern, wo real Geld fließt: Einkommenssteuer, Verbrauchssteuern, ein etwaiger Luxusmehrwertsteuersatz an Stelle des heutigen 16% Steuersatzes.

Die rot-grüne Gesundheitsreform mit zusätzlichen Praxisgebühren u.a. hat Viele verunsichert. Extrem vernachlässigt sind die Vorbeugung und das Auffangen von Krankheiten u.a. mit den billigen und unschädlichen Naturheilmitteln. Therapiert wird eher dann, wenn der Mensch schon schwer krank ist, mit verschreibungspflichtigen, teuren und gefährlichen Mitteln. Die Privatkassen oder Selbstzahlung sind so für Gesundheitsbewusste vorläufig weiterhin die größere Hoffnung - aber dafür fehlt noch eine soziale Absicherung, und die Pflicht, alle Alterstufen aufzunehmen.

Die Pläne besonders von Bündnis 90/ Die Grünen, und der SPD für eine "Bürgerversicherung" betreffen bisher lediglich eine breitere Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Einbeziehung von Leuten, die bisher nicht versicherungspflichtig waren, oder von Einkommensarten, die bisher nicht in die Versicherungsbeiträge einberechnet wurden. Die erwähnten eigentlichen Probleme wären davon unberührt. Es ist der Versuch der Rettung eines seit Jahrzehnten, also auch schon vor Existenz der rotgrünen Regierung durch und durch maroden "Gesundheitssystems", das wohl so überhaupt nicht zu retten sein wird, sondern einer Alternative bedarf. Aber nicht derjenigen, die von anderen Parteien angeboten wird.

Die Pläne der CDU für eine Kopfpauschale in der gesetzlichen Krankenversicherung würden zwar die gesetzlichen Kassen den Privatkassen annähern. Fraglich wäre dabei der Grad der sozialen Absicherung (die zusätzlich nötigen Staatsgelder sollen aus den o.e. Einsparungen bei ABM-Maßnahmen, Ich-AGs u.a. herkommen). Andere, aber teilweise verwandte Tendenzen, etwa durch mehr Wahlmöglichkeiten die Gesetzlichen den Privaten anzunähern, gibt es auch bei Rot-Grün. Derartiges wird zwar unvermeidlich sein, schon weil es heutzutage absurd wäre, davon auszugehen, daß keine Konkurrenz zwischen Gesetzlichen und Privaten bestünde. Aber die angeführten Grundprobleme des jetzigen deutschen gesetzlichen Kassensystems (←) würden weiterhin bestehen und zum Bankrott führen: jedes einseitige Setzen auf die jeweils neuesten chemischen Arzneimittel und die extrem teure Apparatemedizin ist auf Dauer nicht bezahlbar. Schon gar nicht bei einem Weiterlaufen Streß- und krankheitsfördernder Einflüsse aus Gesellschaft und Umwelt. Das zeigt sich auch an der ganz akuten Zunahme der Kosten für 2005. Das getraut sich auch die Opposition nicht zu sagen, oder sie hat es genau so wenig begriffen wie Rot-grün. Die Gesundheitskosten konnte schon der einstige CSU-Bundesgesundheitsminister Seehofer genauso wenig sanieren wie Rotgrün. Die mit dem alten "Gesundheitssystem" (lies: Krankheitsbezahlungssystem) verbundenen Interessen sind stärker gewesen als alle Minister/innen von CDU/CSU, Grünen und SPD. Dieses Krankheitsmanagementsystem richtet sich früher oder später selbst zugrunde.
Auch die schwer verständlich präsentierte rot-grüne Rentenreform - zuletzt die spätere volle Besteuerung der Renten bei gleichzeitiger Entlastung der arbeitenden Beitragszahler - hat Viele verunsichert. Es wurde versäumt, ausländische Modelle wie das einkommenssteuerfinanzierte aus Dänemark, ausreichend zu prüfen. Die bei der CDU zu erwartende Tendenz, wie die rotgrüne Regierung, nur in noch höherem Maße (oder gar wie Kirchhof komplett) auf private Altersvorsorge z.B. durch wenig sichere Investmentfonds zu setzen, senkt die Sorgen um die Gerationengerechtigkeit nicht gerade.
Aber auch eine deutlichere Begrenzung der Einflüsse der globalen (weltweiten) Wirtschaft auf gewachsene regionale Wirtschaftsstrukturen wird nötig sein, wenn nicht alle Maßnahmen ins Leere laufen sollen. Das ist unter der rotgrünen Bundesregierung kein Thema gewesen. Aber z.B. Grüne haben in letzter Zeit überlegt, wie z.B. Arbeitsplatz-Verlagerungen in osteuropäische Billiglohnländer am besten entgegengewirkt werden könnte. Da wären aber nicht erste Überlegungen nöltig, sondern allerdringlichste Handlungen, wie sie z.B. Kerry in den USA gefordert hatte (er wollte eine entsprechende Steuer). Es ist in Deutschland und anderen industrialisierten Ländern schlicht unmöglich, mit Arbeitslöhnen, Steuern, Sozialleistungen von Ländern wie Lettland oder gar China konkurrieren zu wollen - wie es eine ungebremste Globalisierung voraussetzen würde. Die am eindeutigsten "neoliberal" orientierten Parteien CDU/CSU und FDP können dieses Problem auch nicht bessern, da die schnelle Öffnung der Märkte für internationale Investoren (zu schneller Zollabbau usw.) seit jeher der Kernpunkt neoliberaler Vorstellungen von "Reformen" ist. Davon dürfte sie aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens ebenso wenig abweichen wie Rot-Grün, auch wenn sie aus wahltaktischen Gründen z.B. gegen die übermäßigen Einflüsse aus der EU wettern.
Fast das Einzige, wodurch sich hier etwas bessern kann, sind die Bürger/innen selbst - wie z.B. bei den jüngsten Volksabstimmungen in der EU.

Siehe auch die folgenden Seiten:

5b. Kurze Übersicht über Grundlagen und Entwicklung deutscher Parteien, mit Links zu ihren Wahlprogrammen

5c. Bundestagswahl 2005: Ein kurzer Vergleich der Wahlprogramme der Parteien.

7. Fragen an Politiker zur Bundestagswahl

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