Betrachtungen zum Zeitgeschehen
2d. Zum Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2005* und ihrer Politik
Auswertung (unsere Anmerkungen rot ):
Wir behalten zur besseren Vergleichbarkeit die Reihenfolge wie in unserem
Programmvergleich bei - eine Reihenfolge, wie sie weitgehend die verschiedenen
Parteiprogramme hatten.
Steuern und Finanzen |
Die
Mehrwertsteuer soll ab 2007 von 16 auf 19% erhöht werden (von CDU/CSU
stammend, diese kündigte vor der Wahl jedoch auch nur 18% an ! );
1% soll für eine Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 auf 4,5% mitverwendet werden (die Lohnnebenkosten sollen insgesamt von
41 auf unter 40% gesenkt werden); 1% soll Haushaltslöcher schließen
helfen. (Die dadurch bedingte Teuerung dürfte über
die 3% MwSt-Erhöhung hinausgehen, und sich für die meisten Bürger/innen
und damit auch für die Staatsfinanzen am Ende schädlich auswirken -
Viele haben die Preise schon seit Sommer 2006 erhöht, und sagen jetzt
"wir erhöhen nicht.") Haushaltssanierung:
Der EU-Stabilitätspakt soll erst 2007 wieder eingehalten werden. Keine
ausreichenden Maßnahmen erkennbar; die geplanten (siehe oben) sind
schädlich, und das in der Diskussion
aufgetauchte "Rasenmäherprinzip" wäre ganz fatal. |
Arbeit, Wirtschaft | Der Abbau der
Arbeitslosigkeit wird von der Regierungskoalition als "zentrale
Verpflichtung" herausgestellt. Deutlich
wirksame Maßnahmen, die etwa die Auswirkung der Globalisierung, z.B. von
Importen und Aufkäufen auf die gewachsene regionale Wirtschaft bremsen
müßten, sind jedoch so gut wie nicht vorhanden und zunächst allenfalls
Thema für Arbeitsgruppen. Es wird sogar ausdrücklich die Förderung der
viel zu raschen internationalen Freihandelspolitik, z.B. der Vorhaben der
sog. "Doha-Runde" erwähnt. Derartigen Bedrohungen, etwa auch
durch eine EU-Dienstleistungsrichtlinie sollen lediglich soziale
Ausgleichsmaßnahmen gegenübergestellt werden - die in solchen Fällen
noch nie ausgereicht haben. Die bisherigen, schon damals von Allen gemeinsam beschlossen Arbeitsmarktreformen (Hartz IV) sollen beibehalten, und aufgrund von Berichten im Detail "optimiert"* und zusammengefasst werden. Eine Arbeitsgruppe soll Fragen wie Kombilohn (Lohn + Sozialhilfe), Mindestlöhne (SPD) und Entsendegesetz "prüfen". Der Existenzgründungszuschuß für " Ich-AGs" soll verlängert werden (SPD), aber bis 30.6.06 durch ein neues Instrument (?) unter Einbeziehung der Überbrückungshilfe ersetzt werden. 30000 gemeinnützige Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer sollen geschaffen werden. Für Saisonarbeiten sollen verstärkt inländische Arbeitslose vermittelt werden. Es bleibt zu beobachten, ob das gelingt, denn wie das gemacht werden soll, wird nicht gesagt. Der Kündigungsschutz wird gelockert (CDU/CSU): die Probezeit wird bei Neueinstellungen auf 24 Monate ausgedehnt. Andererseits dürfen Arbeitsverhältnisse nicht mehr ohne Grund auf 2 Jahre befristet werden. Per Gesetz sollen die zu umfangreich gewordenen Dokumentations- und Berichtspflichten für kleine Unternehmen verringert werden. Für sie sollen nauch einige Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden. Der Ausbildungspakt wird fortgesetzt: Jährlich sollen 30000 neue Ausbildungsplätze und 25000 betriebliche Einstiegsqualifizierungen für Jugendliche kommen. Im übrigen werden Appelle an die Tarifparteien gerichtet. Appellieren können wir auch. Eine Regierung ist dazu da, in Bereichen, die offensichtlich nicht durch Selbstverpflichtungen allein funktionieren, Korrekturen auszuhandeln. |
Sozialpolitik, Rente, Gesundheit | Die
Rentenbeiträge sollen 2007 von 19,5 auf 19,9% steigen (das
kommt der an und für sich richtigen Politik der Lohnnebenkostensenkung in
die Quere.) Durch Verrechnung nvon nicht vorgenommenen
Rentenkürzungen und Rentenerhöhungen wird es einige Nullrunden geben. Zwischen 2012 und 2035 soll das Rentenalter auf 67 steigen (von CDU/CSU stammend; seltsam angesichts der Massenarbeitslosigkeit; im Gegenteil müßten Teilzeitarbeitsplätze gefördert werden.) Wohneigentum soll auch als Altersvorsorge anerkannt werden (sinnvoll; und im Gegenzug soll die Eigenheimzulage entfallen, s.o.). Die Pflegeversicherung soll teilweise auf Kapitalanlagebasis umgestellt werden (CDU); ähnlich wie von der Riester-Rente bekannt. Das ist zunächst weder positiv noch negativ, solange der Staat sich nicht ganz aus der Verantwortung stiehlt, was aber auf lange Sicht zu befürchten ist. Die Preise für Medikamente werden für 2 Jahre eingefroren. In der Frage des Krankenkassensystems wird auf die grundsätzliche Uneinigkeit der Parteien, und auf weitere Verhandlungen in 2006 verwiesen*. Die eigentlich nötigen Reformmaßnahmen betr. der Vorbeugung und des Auffangens von Krankheiten im Frühstadium mit unschädlichen, billigen und nicht verschreibungspflichtigen Mitteln fehlen bisher völlig. D.h. die angemessene Note in diesem Feld wollen wir gar nicht erwähnen..., siehe unten. |
Familie | Das
Erziehungsgeld soll 2008 in ein einkommensabhängiges Elterngeld
umgewandelt werden: für 1 Jahr 2/3 des Einkommens, max. 1800 EUR. Der
Kinderzuschlag soll ausgebaut werden. Es wird darauf hingewiesen, daß aufgrund der Überprüfungs- und ggf. Nachbesserungspflicht, die das Bundesverfassungsgericht betr. den §218 dem Bundestag 1992 auferlegt hat, die Lage betr. der Spätabtreibungen überprüft werden soll. Der Jugendstrafvollzug und familiengerichtliche Maßnahmen sollen an die veränderte Lage angepaßt werden. Die in früheren Legislaturperioden bei mehreren Parteien angelaufenen Überlegungen zur besseren Rechtsstellung der vielen unverheirateten (nicht-homosexuellen) Paare sind nicht einmal mehr erwähnt; also sind sie wohl bis auf weiteres versandet. |
Bildung, Forschung | Bei
Studiengebühren werden lediglich die unterschiedlichen Auffassungen
betont. Daher dürfte es in den meisten
Bundesländern solche geben. Es wird eine stärkere Kompatibilität von Abschlüssen in der EU erstrebt (solche Ansprüche auf Kompatibilität könnten aber mnit der Föderalismusreform in Konflikt kommen, die den Ländern hier noch mehr Freiheiten zugesteht als bisher). Trotz internationaler Abkommen soll verhindert werden, daß ausländische Bildungsanbieter in Deutschland Rechtsansprüche bekommen, oder daß Qualitätsansprüche verlorengehen; (das wäre zweckmäßig; die Problematik des geplanten internationalen GATS-Abkommens wird jedoch nicht ausreichend thematisiert.) Die Forschungsausgaben sollen erhöht werden. (Die Menge macht`s nicht. Würde statt der vielfach uneffektiven Konzentration auf die Großforschungseinrichtungen z.B. die Forschung der alternativen Medizin wie Elektroakupunktur gefördert, die viel mehr grundlegende Neuerungen zutage gefördert haben, wäre das viel effektiver.) |
Umwelt, Energie, Verbraucher -schutz | Wegen
Uneinigkeit der Parteien bleibt die Atomausstiegsvereinbarung erhalten (das
ist im Sinne der breiten Mehrheit der Bevölkerung). Die
Steinkohlesubvention wird bis 2008 garantiert. Regenerierbare Energien sollen zunächst weiter gefördert werden, ebenso Baumaßnahmen zur Energieeinsparung. Ein Umweltgesetzbuch soll Umweltvorschriften vereinheitlichen. Zur Weiterführung des Naturschutzes finden sich positive Absichtserklärungen. Jedoch zeigen z.B. die Vorhaben im Verkehrsbereich, etwa der Ausbau von Wasserstraßen entgegen allen Erkenntnissen betr. Hochwasserschutz, oder zum Flughafenausbau, zum Logistikstandort Deutschland, oder zur Planungsbeschleunigung, daß Umweltkriterien oder Lärmschutz eher "mitberücksichtigt" werden sollen, statt ein mindestens gleichgewichtiger Blickwinkel dieser Politik zu sein. Die Landwirtschafts- und Verbraucherschutzpolitik beginnt recht unklar, indem darauf verwiesen wird, daß Beides, gentechnisch veränderte Pflanzen und unveränderte zugänglich sein müsse (vorwiegend von CDU/CSU, teils wohl auch von der SPD stammend). Die (vorauszusehende und in den USA schon sehr wirksame) Schädigung der mit unveränderten Pflanzen arbeitenden Bauern durch die gentechnischen Pflanzen der Umgebung soll durch eine Versicherung aufgefangen werden, also lediglich finanziell. D.h. Vorfahrt für die betreffenden internationalen Saatgut-Konzerne. Versicherungen wären gut beraten, eine Versicherung von Gentechnik-Risiken schlicht abzulehnen - wie sie es auch ablehnen, das Gesamtrisiko der Atomenergie zu versichern, da die Größe der Risiken unabsehbar ist. Siehe auch das Projekt www.stoppt-seehofer.de . Durch die vorgesehene Umdefinierung der Begriffe "Freisetzung" und "Inverkehrbringung" könnten auch Gentechnik-Verunreinigungen ins Essen gelangen, die niemals ausreichend auf ihre gesundheitlichen Wirkungen getestet wurden. Da wird also die diesbezüglich mehrheitlich kritische Bevölkerung sich selbst etwas ausdenken müssen. Lebensmittelkontrollen sollen verbessert werden. Der Verkauf von Lebensmitteln unter Einstandspreis soll verboten werden. |
Außenpolitik, Verteidigung |
Es wird - im Sinne der ganz breiten Mehrheit in Deutschland - die friedenspolitische Rolle Deutschlands betont. Weiter wird neben der EU die Stärkung der Zusammenarbeit mit den USA erwähnt, und dann weitere Länder wie Frankreich und Rußland. Daß diese Kompromißsätze Widersprüche in sich enthalten, kann sich bei dem zur Zeit international künstlich hochgekochten Iran-Konflikt u.a. zeigen, siehe unten. Immerhin
wird erwähnt, daß in der EU die Subsidiarität gelten müsse, d.h. was
auf unterer Ebene gelöst werden kann, soll nicht von der EU
vorgeschrieben werden. Das wird aber konterkariert
durch die Meinung, daß der EU-Verfassungsentwurf die Rechte der EU
gegenüber den Staaten genügend begrenzen würde: das tut er leider nach
Auffassung Vieler nicht, daher wurde er in einigen Volksabstimmungen abgelehnt, weswegen
ohnehin etwas Neues überlegt werden müßte. Auch die in einen Vertrag
umbenannte neue Planung enthält in dieser Hinsicht dasselbe. Die Folgen des Zuwanderungsgesetzes sollen "überprüft" werden. Die Wehrpflicht wird weiterhin festgeschrieben, d.h. die Debatte über eine Umwandlung in eine Berufsarmee auf Eis gelegt. |
Innere Sicherheit, Föderalismus | Die
Kronzeugenregelung soll wieder eingeführt werden. Der Jugendstrafvollzug soll an die veränderte Lage angepaßt werden. (Es fehlen aber klare Angaben, die es ermöglichen würden, die Absichten zu bewerten). Sicherheitsbehörden sollen mit Digitalfunk ausgestattet werden (zur Verringerung der Strahlenbelastung wäre die Nutzung der bestehenden Netze sinnvoller, als automatisch solche ausländischen Projekte zu übernehmen.) Zur Föderalismusreform: den Bürgern selbst wird sie nicht viel Änderungen bringen. Die Blockademöglichkeiten des Bundesrates sollen ein bißchen verringert werden. dafür wurde den Ländern mehr Freiheiten bei der Bildung zugestanden, siehe dort. |
Siehe auch die Seite: Fazit - unter Berücksichtigung der praktischen
Politik - hier klicken
* Eine Bundesregierung basiert auf den sie unterstützenden Abgeordneten des Bundestages, bzw. den entsprechenden Parlamentsfraktionen der Parteien. Das Regierungsprogramm für die 4-jährige Legislatur- (=Gesetzgebungs-)periode wird zwischen den an der Koalition beteiligten Parteien in einem Koalitionsvertrag geregelt.
Auch z.B. die Verteilung der Ministerien kann in einem solchen Vertrag geregelt werden. Es ist üblich, daß die Partei, der ein bestimmtes Ministeramt zugesprochen wurde, alleine über dessen personelle Besetzung entscheidet. (Das ist jedoch nicht vorgeschrieben; und es ist auch nicht ratsam, von diesem Gewohnheitsrecht in einer Weise Gebrauch zu machen, die von vornherein Ärger zwischen den Partnern bereiten würde.)
Es kann auch ein Koalitionsausschuß festgelegt werden, der grundlegende und Streitfragen vorbehandelt, die im Laufe der 4 Jahre auftauchen. Dieser Ausschuß kann, wenn er stark genug ist, auch einer allzu extremen Auslegung der grundgesetzlichen "Richtlinienkompetenz" des Kanzlers entgegenwirken, wie sie sich unter Gerhard Schröder eingeschlichen hatte. Es ist einfach Unsinn, wenn heute zuweilen zu lesen ist, die Richtlinienkompetenz bedeute, ein/e Kanzler/in könne oder gar solle im Alleingang "grundlegende politische Weichenstellungen vornehmen". Aus dem Begriff "grundlegende Weichenstellungen" kann die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit großer Veränderungen der Zielrichtung herausgelesen werden, während "Richtlinien" (Grundgesetz) auch einfach bedeuten kann, dem Weg entsprechend der Gegebenheiten eine klare Linie zu geben und diese Linie dann gegenüber Leuten abzusichern, die versuchen, davon abzuweichen. Außerdem gibt der Grundgesetzartíkel 65 wenig für Alleingänge her. Denn dort steht neben der Richtlinienkompetenz und der Verantwortung des Kanzlers z.B. auch, daß über Streitfragen zwischen den Ministern "die Bundesregierung" entscheidet (sog. Kollegialprinzip). Um wieviel mehr müssen also "grundlegende" Streitfragen an den Tisch der Bundesregierung! Alles andere untergräbt auch jenseits rechtlicher Überlegungen rein nach dem gesunden Menschenverstand und nach aller Erfahrung die Zusammenarbeit in einer Bundesregierung. Für neue Weichenstellungen ist zunächst die aufgrund der Wahlergebnisse zustande gekommene Koalition und deren Koalitionsvertrag zuständig. Soweit später neue Weichenstellungen nötig werden, kann der Koalitionsausschuß diese vorbesprechen, auf jeden Fall aber müßte die ganze Bundesregierung diese beraten. Im übrigen arbeitet auch eine Bundesregierung lt. Grundgesetz nach einer Geschäftsordnung - also nicht nach Wildwestmanier. Je grundlegender die Frage ist, desto breiter sollte darüber hinaus die Übereinstimmung innerhalb der Bundesregierung sein.
Es
gibt darüber hinaus auch noch den Bundestag, der sein Recht zurückgewinnen
muß, über "grundlegende politische Weichenstellungen" mit zu
entscheiden. Auch dort ist gerade für wichtige Fragen die Möglichkeit zu einer
Konsensbildung, sogar über die Koalitionsgrenzen hinaus angelegt. So
werden z.B. bestimmte Fragen vom - von allen Fraktionen bestückten -
Bundestagspräsidium vorbesprochen bzw. vom - ebenfalls alle Parteien
enthaltenden "Ältestenrat".
In einer konsequenteren Demokratie wie in der Schweiz wäre mit
"grundlegenden politischen Weichenstellungen" außerdem meist eine
Volksabstimmung verbunden; denn solche neue Weichenstellungen waren für die
Wähler vor der Wahl nicht unbedingt vorhersehbar.
S.a. die Ausarbeitung über theoretische gemeinsame Schnittmengen möglicher Koalitionsarten;
sowie die kommentierte Zusammenstellung über die damaligen Parteiprogramme.
Auswertung des Koalitionsvertrags der neuen CDU/CSU/FDP-Regierungskoalition
Der Text des Koalitionsvertrags der neuen CDU/CSU/FDP-Regierungskoalition (PDF-Format)
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